Wie Unternehmen gängige Standards unterlaufen
Gorillas, Flink, Durstexpress/Flaschenpost, Lieferando – die Liste der sogenannten Start Ups, die immer wieder in die Schlagzeilen geraten, weil sie insbesondere ihre Fahrer*innen mies behandeln und Arbeitsrechte unterlaufen, ist lang. Niedrige und oft zu spät gezahlte Löhne, mangelnde Arbeitssicherheit, willkürliche Kündigungen und Behinderung von Betriebsräten und gewerkschaftlicher Organisierung sind dabei die häufigsten Vorwürfe. Die Anbieter von E-Scootern, beispielsweise TIER, stehen bislang medial eher unter Beschuss, weil die Roller auf den Gehwegen oft im Weg stehen und der ökologische Fußabdruck der kurzlebigen Akkus äußerst fragwürdig ist. Allerdings berichten Mitarbeiter*innen, dass auch im Bereich der E-Mobilität die Arbeitsbedingungen alles andere als rosig sind.
„Bei TIER habe ich nur Mindestlohn verdient“, berichtet ein Fahrer der FAU Hannover. Dabei erfordere das Verteilen und Einsammeln der schweren Roller mit großen Transportern im unübersichtlichen Stadtverkehr hohe Konzentration. Die Arbeitstage seien lang, nicht immer werde das Gehalt pünktlich gezahlt und Verträge seien oft befristet. Das ist kein Geheimnis. Auf einschlägigen Bewertungsplattformen stellen viele ehemalige Fahrer*innen TIER ein schlechtes Zeugnis aus.
Es ist kein Zufall, dass es die meisten Start Ups in dieser Sparte mit gängigen Standards nicht so genau nehmen. Denn der Kampf um die Märkte ist hart und oft schreiben die Unternehmen rote Zahlen. Allein in Hannover gibt es neben TIER noch sechs weitere Anbieter: Lime, Bird, voi, dott, Bolt und Jawls. Löhne, die zum Leben reichen, unbefristete Arbeitsverträge oder gar Interessenvertretung durch Betriebsräte scheinen die Arbeitgeber da eher als Hindernis wahrzunehmen. Wie zuvor bei den Lieferdiensten beginnt nun auch der Markt um die E-Mobiliät sich zu konsolidieren. TIER kaufte bereits andere Konkurrenten auf. Und kündigte im August 2022 an, 180 Arbeiter*innen zu entlassen, um profitabler zu werden.
Dass solche Profite auf den Rücken der Beschäftigten erwirtschaftet werden sollen, kennen wir ebenfalls von den Lieferdiensten. Doch hier haben organisierte Arbeiter*innen schlechten Arbeitsbedingungen immer wieder die Stirn geboten. Angefangen mit der internationalen Kampagne #deliverunion und den Aktivitäten der Rider*innen mit Unterstützung der FAU Berlin bei Foodora und Deliveroo, die längst vom deutschen Markt verschwunden sind, zeichneten sich als nächstes die Lieferdienste Gorillas und Lieferando als Horror-Arbeitgeber aus. Auch hier ging es wieder um Arbeitsschutz, Kettenbefristungen, intransparente Abrechnungen und die Behinderung von Betriebsratsgründungen, gegen die sich Widerstand regte, zum Beispiel durch das Gorillas Workers Collective. Nun tritt auch der Lieferdienst Flink in diese Fußstapfen und behindert Betriebsratswahlen.
Der Kampf um faire und würdige Arbeitsbedingungen bei Start Ups geht also weiter. Es wäre nicht überraschend, wenn sich auch die Verleiher von E-Rollern demnächst in die Liste der Start Ups einreihen, die es mit organisierten Arbeiter*innen und einer Gewerkschaft zu tun bekommen.
Vielleicht arbeitest du selbst bei TIER oder einem anderen Anbieter? Erhältst du zu wenig oder zu spät deinen Lohn? Wurdest du gekündigt? Möchtest du etwas gegen miese Arbeitsbedingungen unternehmen? Dann melde dich bei uns: fauh-beratung@fau.org